Vivian Cook SLA Bibliography Obscure Writings
Kategorisierung und Fremdsprachenerwerb
In Gegenwartige Probleme und Aufgaben der
Fremdsprachen-psychologie, Karl
Marx University, Leipzig, 1982, 65-70
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Gegenwärtig wird vielfach die Theorie der Kategorisierung von ROSCH (1977) diskutiert. Nach ROSCH ist es ein allgemeines Prinzip der menschlichen Kategorisierung, Kategorien so zu formen, dass sie maximal voneinander unterscheidbar sind. Es existiert somit eine Grundstufe der Kategorisierung, auf der die Kategorien den grossten Informationsgehalt besitzen, über die höchste Schlüsselvalidität verfügen und sich am meisten voneinander unterscheiden (ROSCH 1977). Beispiele dieser kategorialen Ebene wären etwa "Shirt" und "Apfel". Als eine Abstraktionsstufe über den Grundniveau erscheint nun em übergeordnetes Niveau, ausgedrückt durch Begriffe wie z. B. "Kleidung" und "Früchte". Kategorien dieser Ebene sind allge meiner; ihre Begriffe haben nur noch wenig gemeinsame Eigen— schaften. Eine Abstraktionsstufe unter dem Grundniveau hin gegen befindet sich ein Niveau, auf dem die Begriffe viele gemeinsame Eigenschaften besitzen, wie z. B. "T-shirt" und "Jaffa-Orange". ROSCH ist nun der Auffassung, dass dieses allgemeine Prinzip des Gebrauchs von Prototypen der Kategorien von einer überwiegend analogen Repräsentation der Welt in Gedätchtnis abhängig ist.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einige Aspekte des ROSCH-Prinzips hinsichtlich des Erwerbs einer FS zu untersuchen. Hauptsächlich soll geklärt werden, ob Begriffe der Grundstufe, z. B. "shirt", von ebenso grosser Bedeutung für den FS-Erwerb sind wie untergeordnete Begriffe, wie z. B. "T-shirt", oder übergeordnete Begriffe,wie z. B. "Kleidung".
Es wurden zwei Experimente konzipiert, die im wesentlichen auf Ergebnissen von GILHOOLY/GILHOOLY (1980) basieren. Danach besteht eine positive Korrelation zwischen der objektiven Zeit, in der Worte gelernt werden und der subjektiven Erinnerung daran, wann sie gelernt werden.
Zur untersuchungemethodischen Seite:
In Adaption an ROSCH (1976) wurde den Pbn folgendes Lern-material präsentiert:
Begriffe der Grundatufe: Shirt, Orange, Apfel, Piano, Gitarre, Bett, Stuhl, Auto, Bus
übergeordnete Begriffe: Kisidung, Prllchte, lAusikinstrument, Transport, M~5bel
untergeordnote Begriffe: T-shirt, Jaffa-Orange, Cox’s Apfel, Elektro-Piano, Bassgitarre, Doppelstockbett, Schemel, Sport-wagen, Doppeldecker
Pbn in ersten Experiment waren 32 finnische Studenten der Anglistik. Sie waren nach eigenen Angaben in Schnitt vor 12,9 Jahren zum ersten Mal mit der englischen Sprache konfrontiert worden. Pbn in zweiten Experiment waren 22 Studenten mit verschiedenen Muttersprachen, die im Mittel vor 7,7 Jahren mit dem Englischerwerb begonnen hatten.
Die beiden Versuchsinstruktionen lauteten:
Versuch 1: "Wann haben Sie eines der vorliegenden englischen Wörter zum ersten Mal gelernt?"
Versuch 2: "Sie finden im folgenden eine Liste von Wort-paaren. Welches der Wörter haben Sie bei jedem Paar zuerst gelernt?"
Die Wortliste für Versuch 2 war so aufgebaut, dass jedes Wort einer Begriffsebene jeweils mit einen anderen Wort einer anderen Begriffsebene gekoppelt wurde. Die Auswertung beider Experimente ergab für jede Begriffsebene folgende Resultäte:
Exp. 1 | Exp. 2 | |
Grundbegriff vor übergeordnetem Begriff | 229 | 96 |
übergeordneter Begriff vor Grundbegriff | 35 | 57 |
Grundbegriff vor untergeordnetem Begriff |
581 | 166 |
untergeordneter Begriff vor Grundbegriff | 17 | 18 |
übergeordneter vor untergeordnetem Begriff | 224 | 154 |
untergeordneter vor übergeordnetem Begriff | 44 | 36 |
Tab. 1: Anzahl der Nennungen der Begriffe, die vor Begriffen einer anderen Ebene gelernt wurden
Beide Untersuchungen führten trotz unterschiedlichen Vorgehens hinsichtlich der Methodik zu der gleichen Schlussfolgerung:
Lernende der Zweitsprache "Englisch" erkennen die Begriffe der Grundstufe als vor den über- bzw. untergeordneten Begriffen gelernte und die Oberbegriffe als vor den untergeordneten gelernte an.
Obwohl bei den Versuchen verschiedene Instruktionen verwendet wurden, die Pbn aus unterschiedlicher sprachlicher Umgebung kamen, einen unterschiedlichen Grad der Sprachbeherrschung besassen und die Unterschiede zwischen den Resultaten beider Experimente minimal sind, ist eine Interpretation möglich: Wenn wir gelten lassen, dass die Erinnerung an den Moment der Begriffsaneignung präzise ist, so lässt sich annehmen, dass die Begriffe der Grundstufe in der FS vor den Oberbegriffen gelernt werden und diese wiederum vor den untergeordneten Begriffen (GILHOOLY/GILHOOLY 1980). Wenn wir dieses Argument allerdings zurtückweisen, sind wir weit davon entfernt, ems Erklärung für die Beständigkeit zu finden, mit der die Lernenden einer FS glauben, dass sie die Begriffe in eben jener Reihenfolge lernten. Betrachten wir einige Erklärungen, die fUr die Resultate vorgelegt werden können. Als erstes die Frage der linguistischen Umgebung: Dazu wurden 9 Englischlehrbücher hinsichtlich der Reihenfolge in der Einführung von Wörtern verschiedener Begriffsebenen analysiert. Diese Analyse ergab, dass in 49 Fällen Grundbegriffe vor übergeordneten Begriffen vernittelt wurden; 12mal standen Ubergeordnete vor Grundbegriffen; und l5mal wurden übergeordnete Begriffe gleichzeitig mit den Grundbegriffen emgeführt. Das zeigt, dass Englischlehrbücher Begriffe der Grundstufe in allgemeinen vor Oberbegriffen einführen. Um eine Erklärung in bezug auf die Erkenntnistätigkeit zu geben, wurde die Bedeutung der Begriffe für das geistigeVorstellungsvermögen durch Befragung der Pbn bestimmt. Die Pbn schätzten Bedeutungsgehalt, Konkretheit und voretellwungsprovozierenden Einfluss von Wörtern verschiedener Begriffsebenen auf einer Skala von 1 - 7 ein. Die Ergebnisse dieser Befragung sind in Tabelle 2 dargestellt:
Ubergeordnete Begriffs der
Begriffe Grundatufe
Bedeutungsgehalt 6,39 6,69
Konkretheit 6,24 6,79
vorstellungeprovo-
5,76 6,27
zierender Einfluss
Tab. 2 Rolle des Bedeutwagagehaltes, der Konkretheit und des vorstellungsprovozierenden einflusses von Wörtern verschiedener Begriffsebenen beim FS-Erwerb
Aus den Ergebnissen folgt, dass sine Erklärwungsmöglichkeit der Experimente 1 und 2 in Verbindung mit dem geistigen Vorstellungsvermögen nicht auszuschliessen ist.
Die anders kognitive Deutung besteht in der Anerkennung von ROSCHs Argument, dass ein grundlegendes Prinzip menschlicher Kategorisierung enthalten ist. ROSCH fasst ihre Ergebnisse zugunsten der Allgemeingültigkeit dieses Kategorisierwungsprinzips zusamnen. Danach sind die Grundkategorien die ersten während der Wahrnehmung stattfindenden, die von Kindern als erste erworbenen und die am häufigsten kodierten (und damit wichtigsten) Klassifikationen in der Sprache eines jeden Volkes (ROSCH et al. 1976).
Andererseits liess sich zeigen, dass auch ems Erklärung, bezogen auf die Unwelt in Verbindung mit der Häufigkeit bzw. Darbietungefolge, nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Dennoch spricht die Bedeutung der Begriffe der Grundstufe sowohl beim Erwerb der MS als auch beim Erlernen einer FS däfür, Interpretationen in bezug auf das äussere Bedingwungsgefüge weitgehend auszuschliessen.
Die erhaltenen Resultate legen einen Aspekt in der Verwendung von Begriffen der Grundstufe bein Spracherwerb fest. Es liegt nahe anzunehmen, dass das Grundprinzip der Kategorisierung nur auf ein bestimmtes Stadium der kognitiven Entwicklung zutrifft. Die hier angeführten Ergebnisse zeigen allerdings, dass auch Erwachsene noch auf Begriffe der Grundstufe Bezug nehmen. Die Bedeutung dieser Begriffe scheint daher, ungeachtet des Alters, ein Wesensmerkmal des Spracherwerbs zu sein.
In früheren Arbeiten (COOK 1981) habe ich die Auffassung vertreten, dass das Erlernen einer FS dem Erwerb der MS gleicht, soweit es nur die mit der Sprache verbundenen kognitiven Prozesse betrifft. Hier haben wir aber sin offenkundiges Gegenbeispiel; das Erlernen einer FS scheint auf dem Gebiet der Lexik identisch mit den Erwerb der MS zu sein. Das macht es notwendig, die früheren Aussagen etwas zu korrigieren. Werden Prozesse erfasst, die gleichermassen bei Kindern wie bei Erwachsenen auftreten, dann dürfte es keinen Unterschied zwischen dem Erwerb der MS und einer FS geben, wie z. B. im Falle des allgemeingültigen Kategorisierungeprinzips. Werden aber Prozesse erfasst, die sich während der Kindheit herausbilden, dann können wir Unterechiede zwisehen MS- und FS- Erwerb erwarten.
Literatur
1) COOK, V. J.: Some Uses for Second-language Learning Research. in: Annals of the New York Academy of Sciences 379/1981
2) GILHOOLY, K. J./GILHOOLY, M. L.: The Validity of Age of Acquisition Ratings, in: B. J. Psychology 71/1980
3) ROSCH, E.: Human Categorisation, Studies in Cross-Cultural Psychology, New York 1977
4) ROSCH, E./BOYES-BRAEM, P./GRAY, W. D./JOHNSON, D. M., MERVIS, C. B.: Basic Objects in Natural Categories, Cognitive Psychology 8/1976
Ubersetzung aus dem Englishen durch U. Nowak.